Chronologie des Deutschen Pachtgebietes Kiautschou
1. Die Besetzung:
24.November.1890:
Johann Baptist Anzer der Titularbischof von Süd-Schantung ließ seine Mission, die bisher unter französischem Schutz stand, unter den diplomatischen Schutz des Deutschen Reiches stellen. Er erhoffte sich dadurch
eine stärkere Förderung seiner Missionspläne. Im Jahr 1896 erfolgte die missionarische Besetzung von Jentschoufu, der den Chinesen heiligen Geburtsstadt des Konfuzius.
1986
Konteradmiral Tirpitz, wird Geschwaderchef der in Ostasien stationierten deutschen Seestreitkräfte.
23.Juli 1896
Das Kanonenboot Iltis (1) verlieĂź die Reede von Tschi-fu und nahm Kurs auf die Bucht von Kiau-Tschu.
Kapitänleutnant Braun, über Jahre ein enger Vertrauter von Tirpitz, sollte in dessen Auftrag die Bucht auf ihre Eignung als Stützpunkt untersuchen. Ab “Kap Schantung” verschlechterte sich das Wetter. Ostwind der Stärke 7-8 drückte das Boot gegen Land. Nachts wurde die
SMS Iltis (1) auf die Klippen geworfen und zerbrach in zwei Teile. Nur 11 Matrosen konnten gerettet werden. 79 Mann, darunter der Kapitän und alle Offiziere starben den Seemannstod. Als am 28.Juli 1896
die Trauerbotschaft beim Geschwader in Tschi-fu eintraf, schickte der Admiral die Kreuzer “Arcona” und “Cormoran” zur Unglücksstelle um die Leichen zu bestatten. Sie konnten jedoch
nur noch 27 tote Kameraden bergen, denen ein eigener Friedhof errichtet wurde. Ein Denkmal wurde gestiftet und am 21.Nov.1898in Schanghai aufgestellt.
1897
fuhr der Kieler Marine-Hafenbaudirektor Georg Franzius an die Ostasiatische Küste um zu prüfen, welcher chinesische Hafen für einen deutschen Marinestützpunkt infrage käme. Er schlug ebenfalls die
Bucht von Kiautschou vor.
Am 1.11.1897
wurden in Jentschoufu die Steyler Missionare Richard Henle und Franz Xaver Nies, “nach kurzer Gegenwehr niedergemetzelt”. Bischof Anzer, der sich in Steyl aufhielt, eilte Schutz flehend nach Berlin zu
Kaiser Wilhelm II. Der Kaiser sah eine Chance, diesen Anlass für seine Expansionspläne zu nutzen.
Zu dieser Zeit befanden sich Schiffe des “Deutschen Kreuzergeschwaders in Ostasien” im Hafen von Schanghai. Das Geschwader bestand damals aus einer Kreuzerdivision,
zu der folgende Schiffe gehörten:
Kreuzer 1.Klasse “Kaiser” (ehemals Panzerschiff)
Kreuzer 2.Klasse “Prinzeß Wilhelm”
Kreuzer 2.Klasse “Prinzeß Irene”
Kreuzer 3.Klasse “Arcona”
das Geschwader wurde fallweise durch den Kreuzer 4.Klasse “Cormoran” verstärkt.
9.November 1897 :
Der Oberbefehlshaber des Kreuzergeschwaders, Vizeadmiral Otto von Diederichs, bekommt aus Berlin den Geheimbefehl sofort auszulaufen und Genugtuung fĂĽr die Ermordung der beiden Missionare zu erzwingen. Zu
diesem Zweck soll er die zu Schantung gehörige Kiau-Tschau-Bai besetzen.
10.November 1897:
Die Kreuzer “Kaiser”, “Prinzeß Wilhelm” und “Cormoran”
laufen aus dem Hafen von Schanghai aus. Sie wechseln mehrfach den Kurs um eventuelle Beobachter irre zu fĂĽhren, dann nehmen sie Kurs nach Norden.
13.November 1897:
Der Vizeadmiral gibt den Besatzungen Ort und Ziel der Operation bekannt
14.November 1897:
Das Geschwader läuft in die Bucht von Kiautschou ein, die Kriegsschiffe drehen bei. Drohend richten sich die Mündungen ihrer Geschütze gegen das Festland, wo sich in 3 Forts etwa 2000 chinesische Soldaten befinden.
30 Offiziere, 77 Unteroffiziere und 610 Matrosen setzen mit 6 LandungsgeschĂĽtzen an Land.
· die Mannschaft des “Cormoran” besetzt die Munitionshäuser.
· der “Kaiser” besetzt die umliegenden Anhöhen und zerstört die Telegraphenverbindung
· “Prinzeß Wilhelm” bezieht Stellung oberhalb des sog. Artillerielagers
Die chinesischen Soldaten sind arglos, sie rechnen mit keiner Aggression von Seite der Deutschen. Bereitwillig räumen sie den Exerzierplatz für die vermeintliche Übung der deutschen Marinesoldaten.
Otto von Diederichs stellt dem chinesischen Kommandanten ein Ultimatum zur Übergabe. Unter dem Druck der Schiffsgeschütze und der gelandeten Truppen, gibt der Kommandant nach 3 Stunden auf. Er läßt seine Soldaten
ins Hinterland abrücken. Dann erbittet und erhält er den Schutz der Deutschen für sich und seine Familie, weil er wohl zu Recht Repressalien seiner Vorgesetzten fürchtet.
Um 11 ½ Uhr morgens wird die Chinesische Drachenflagge nieder geholt. Und unter dem Klang der Nationalhymne und dem Donner der Salutgeschütze steigt die Deutsche Kriegsflagge um 2 ½ Uhr mittags am gleichen Mast
empor.
Der Vizeadmiral benachrichtigt die benachbarten englischen, französischen und russischen Befehlshaber von seinem Unternehmen. Der deutsche Kaiser hat sein Ziel erreicht, er besetzt einen eisfreien Hafen, der gut an
das chinesische Hinterland angebunden werden kann.
Da die chinesischen Unterkünfte für europäische Verhältnisse hygienisch bedenklich erscheinen, übernachten die Landungstruppen vorerst in mitgebrachten Zelten.
14.Dezember 1897:
Der Chef der Marinestation der Ostsee, Admiral Köster, verabschiedet 500 Marineinfanteristen die Kiel über Wilhelmshafen nach Ostasien verlassen.
15.Dezember 1897:
Kaiser Wilhelm II verabschiedet in Kiel seinen Bruder, den Prinzen Heinrich, der mit einer Kreuzerdivision bestehend aus seinem Flaggschiff, dem Panzerkreuzer “Deutschland”, und den Kreuzern “Gefion”
und “Kaiserin Augusta” das Ostasiengeschwader verstärken soll.
16.Dezember 1897:
Die Kreuzer “Deutschland” und“Gefion” fahren in den Nord – Ostseekanal ein mit Kurs Ostasien.
Die “Kaiserin Augusta” stößt später zum Verband.
2. der Vertrag
5. Januar 1898:
Der Reichsanzeiger gibt erste Einzelheiten des 99-jährigen Pachtvertrages zwischen Deutschland und China bekannt.
6. März 1898
Der Pachtvertrag wird in Berlin ratifiziert. Selbst SPD- Parlamentarier wie August Bebel äußern sich vorsichtig optimistisch über die Zukunft des neuen Außenpostens
Trotz Abschluss dieses aufdiktierten Pachtvertrages mĂĽssen die Chinesen noch enorme Summen zur SĂĽhne des Missionarsmordes aufbringen. Etwa 600 000 Reichsmark stellen sie fĂĽr den Bau von Kirchen und
Missionswohnungen bereit. DarĂĽber hinaus mĂĽssen sie noch BĂĽrgschaften fĂĽr den Schutz der Missionare leisten.
3. der Anfang
Das Pachtgebiet wird neu vermessen, da sich die vorliegenden englischen Karten als ungenau erweisen. Die Vermessung wird von Teilen der Cormoranbesatzung durchgefĂĽhrt und zeigt folgendes Ergebnis:
Gesamtfläche: 920 km²
Bucht (Wasserfläche): 550 km²
Landfläche: 370 km²
Ein 50 km breiter, an das Pachtgebiet anschlieĂźender Streifen wird als neutrale Zone deklariert und von den Deutschen kontrolliert. Ein 33 km breiter und 400 km langer Korridor bis zur Bezirkshauptstadt Tsianfu wird
für Bau und Betrieb der Schantung – Eisenbahn und zum Abbau der Kohlevorkommen genutzt.
Zu dieser Zeit war die Bucht von Kiautschou stark versandet. Raubbau an den Gehölzen der Küstengebirge, sowie zahlreiche Steinbrüche führten zu starker Bodenerosion und Erdabschwemmungen in die Bucht. Diese
UmweltsĂĽnden wurden immerhin schon im Jahre 1898 schriftlich festgehalten.
Die Bucht von Kiautschou wurde von Betrachtern mit dem Jadebusen verglichen. Sie schĂĽtzte als natĂĽrlicher Hafen die Schiffe vor Sturm und Wellengang. Die Zufahrt war eng und gut zu verteidigen. Bei entsprechenden
Baggerarbeiten ließe sich eine Hafengröße erreichen, die mit den Häfen von Honkong oder Schanghai vergleichbar sei.
Das Pachtgebiet bestand 1898 aus 284 kleinen Dörfern mit insgesamt 83.000 Einwohnern.
Die Haupterwerbsquelle der überwiegend bäuerlichen Urbevölkerung war der Anbau von Kohl, der in kleinen Schiffen nach Schanghai gebracht wurde. Sie lebten in bescheidenen, fast ärmlichen Verhältnissen. Die
hygienischen Verhältnisse begünstigten das Auftreten von Seuchen, zB. von Ruhr und Typhus der später auch einige deutschen Soldaten und der Gouverneur Jäschke zum Opfer fielen.
Die Zukunftspläne der Deutschen waren nicht eben bescheiden:
· Aufforstung der Küstengebirge
· Bau eines Überseehafens
· Erschließung der benachbarten Kohlevorkommen
· Versorgung der geplanten Hafenstadt Tsingtau mit elektrischem Licht
· Bau einer Eisenbahnlinie nach Tsinanfu, der Hauptstadt der Provinz Schantung
Doch bis diese Pläne verwirklicht werden konnten, gab es noch einige Zwischenfälle:
24. Januar 1898
Um 2Uhr nachts wird der Matrose Schultz vom Kreuzer Kaiser auf Wache ermordet.
Der Mörder wird gefasst und auf Wunsch der Chinesen durch nach chinesischem Recht (enthaupten statt erschießen) hingerichtet.
14. März 1898
3 Soldaten die Wechselgeld transportieren, werden überfallen. Sie können jedoch die Angreifer verwunden und in die Flucht schlagen.
29. März 1898
Ein Anschlag auf das Pulver – Depot wurde verübt. Alle Compagnien des Marine – Infanterie – Bataillons, die Feldbatterie und die Fußartillerie rückten aus, besetzten alle Brücken und Wege und durchsuchten
die Umgebung, jedoch ohne Erfolg.
Juni 1898
Ein Kommando bestehend aus einem Maat und 3 Matrosen sollte 2 verdächtige Dschunken nach Waffen oder Ähnlichem durchsuchen. Die Dschunkenbesatzung versuchte sie zu überwältigen, was jedoch mißlang. Daraufhin
versuchten die Dschunken zu entfliehen. Der Vorfall wurde dem Gouverneur telephonisch gemeldet, worauf dieser dem “Prinzeß Wilhelm”
signalisieren ließ, die verdächtigen Schiffe zu stoppen. Der Kreuzer nahm sofort Fahrt auf und folgte den Dschunken. Da Schüsse vor den Bug keinen Erfolg zeigten, schraubte man die Zünder von den Granaten,( somit wirkten diese nur noch mechanisch) und schoss die Hauptmasten weg. Die Dschunken wurden geentert. Man nahm etwa 180 chinesische Soldaten gefangen und stellte 3 Kanonen, viele Gewehre und Munition sicher.
In diesen wilden Zeiten durfte kein deutscher Soldat das Fort ohne geladenes Gewehr verlassen. AuĂźerdem trug jeder 60 scharfe Patronen am Mann.
Ansonsten war das Leben fĂĽr die Deutschen eher langweilig. In einem Brief in die Heimat beklagt sich ein Stadtoldenburger Artillerist 1898 ĂĽber die groĂźe Langeweile nach Dienst. Die kahlen Berge des Umlandes
böten kaum Ausflugsmöglichkeiten und die wenigen Kneipen seien zu teuer für einen Matrosen. Einzige Abwechslung waren die Sonntagskonzerte der Kapelle des Seebataillons sowie eine Kegelbahn.
4. die Gouverneure
Das Pachtgebiet unterstand dem Reichsmarineamt. Zum Chef der Verwaltung des Pachtgebietes wurde jeweils ein Seeoffizier mit dem Titel Gouverneur ernannt. Als erster Gouverneur wurde der Kapitän zur See Stubenrauch
benannt. Dieser trat jedoch sehr wahrscheinlich sein Amt nicht an, denn er wurde in der Liste der Verwaltungschefs nicht aufgefĂĽhrt.
Amtszeit der deutschen Gouverneure:
1898 - 1899
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Kapitän zur See Rosendahl
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1899 - 1901
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Kapitän zur See Jäschke
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1901 - 1911
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Kapitän zur See von Truppel
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1911 - 1914
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Kapitän zur See Meyer-Waldeck
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5. der Aufbau von Tsingtau
Eine kleine Insel in der Kiautschou-Bucht war Namenspate fĂĽr ein kleines Fischerdorf (ca. 1 000 Einwohner ) auf einer
Landzunge am Eingang der Bucht. Der Name “kleine grüne Insel” (Quingdao oder Tsingtau) wurde dann auch für die neue
Hafenstadt übernommen. Die “kleine grüne Insel” wurde von den Deutschen Arkona – Insel genannt.
Juni 1898
Die 1. Besatzung des III.Seebataillons wird ausgewechselt. 40 Unteroffiziere und 270 Mannschaften vom Landheer meldeten
sich freiwillig für diese Aufgabe. Alle waren lt. Anforderung : tropendienstfähig, von gutem Leumund und nicht kleiner als
1,65m. Für den Juli 1900 war die nächste Ablösung vorgesehen. Die Besatzung wurde dann im 2jährigen Turnus ausgewechselt.
2. September 1898
Der Bebauungsplan für die Stadt Tsingtau tritt in Kraft. Die Stadt wird zum Freihafen erklärt. Eine Musterstadt entsteht nach
der neuen PreuĂźischen Bauordnung, die Bodenspekulationen weitgehend verhindert. Dadurch entstand eine Art
Planwirtschaft die jedoch mit dem unregulierten Wachstum in Honkong nicht mithalten konnte. Dadurch investierten viele
deutschen Kaufleute lieber in Kanton oder Schanghai wo der ungezügelte Kapitalismus höhere Gewinne versprach. Das
Wirtschaftswachstum entwickelte sich nicht in dem, vom deutschen Parlament erhofften MaĂźe. Das Schutzgebiet blieb lange
ein Fass ohne Boden. Allein der Ausbau des Hafens verschlang 8,5Millionen Reichsmark. Vielfach wurde das Pachtgebiet
als “Musterkolonie” bezeichnet was jedoch nur bedingt zutrifft, wenn man z.B. Vergleiche mit anderen Kolonien anstellt.
Ansonsten herrschte auch hier Apartheid, zumindest gegen Kulis und Dienstboten. Nach einer Typhusepidemie wurde der
chinesischen Bevölkerung ein anderes Siedlungsgebiet, getrennt von den Europäern zugewiesen. Die Kulis wurden nicht viel
besser als Sklaven behandelt und nur wenige Chinesen konnten als Handelsherren oder Fabrikanten in die Upperclass
aufsteigen. Erst als nach der bürgerlichen Revolution 1911 Angehörige des Kaiserhauses, sowie hohe Beamte aus Peking
nach Tsingtau flüchteten, wurde ihnen erlaubt, sich im “europäischen” Stadtteil niederzulassen.
Zum Deutschen Schutzgebiet Kiautschou) gehörten:
Gouvernement Tsingtau
Matrosenartillerieabteilung Kiautschou
III Seebataillon
Ostasiatisches Marinedetachement – Peking
Hafenamt, Werft, Depots, Fortifikationen
Observatorium Tsingtau
Die Stammabteilung der Matrosenartillerie war in Cuxhafen beheimatet und unterstand der
Inspektion der KĂĽstenartillerie und des Minenwesens.
DasIII Seebataillonunterstand der Inspektion der Marineinfanterie in Kiel.
Beide Inspektionen ĂĽbernahmen auch die Grundausbildung der Soldaten in Deutschland.
September 1899
Eine 120 Mann starke chinesische Söldnertruppe wurde angeworben. Die Vorteile lagen auf der Hand:
· geringer Sold ( 8 $ im Monat)
· Kenntnisse der chinesischen Sprache und Lebensweise
· Körper an Klima und Land gewöhnt
Die Truppe wurde deutschen Offizieren und Unteroffizieren zugeteilt. Da die Söldner vorher andere Berufe ausgeübt hatten,
bedurfte es einer längeren Übungsphase, bis am Jahresende 1899 nach Berlin u.a. gemeldet wurde: “Haltung frisch und tadellos. Die Soldaten zeigen Geschick und Zähigkeit”.
Festung Kiautschou:
Von der Seeseite wurden starke Befestigungen angelegt. Dies waren :
u.a. die Iltis -, Bismarck -, und die Moltkefestung auf den gleichnamigen GebirgszĂĽgen. sowie etwa ein Dutzend kleinere
Forts. Die Festungen waren im Boden eingelassen (Kasematten) und mit schwenkbaren, groĂźkalibrigen, steilfeuernden 28 cm
GeschĂĽtzen bestĂĽckt. Die Forts lagen eher am FuĂź der Berge und waren mit 20,5 bzw. 24 cm Haubitzen versehen. Zum
Festland hin, hinter der Gebirgskette der Iltis- Bismarck- und Moltkeberge lagen fĂĽnf Infanteriewerke mit dem
Hauptdrahthindernis. Die starke militärische Besatzung und die hohe Feuerkraft dienten hauptsächlich zur Abschreckung der Chinesen und erst in zweiter Linie der Außenverteidigung.
Der Erste Offizier des kleinen Kreuzers “Emden” beschreibt den Zustand 1914 folgendermaßen:
“Jedenfalls brauchte man um das Schicksal der Festung (Tsingtau) nicht besorgt zu sein. Nach See zu waren gute und
ausreichende Anlagen vorhanden, die ein Bezwingen durch Schiffe unmöglich machten. Die Landbefestigungen, soweit überhaupt welche vorhanden waren, waren zwar nur kleine und bescheidene Erdwerke, eigentlich nur
Infanteriefeldbefestigungen. Doch war ein Angriff von der Landseite nicht zu befürchten, weil Tsingtau ringsum von neutralem, chinesischen Gebiet umgeben war.”
In diesem Punkt irrte sich Helmuth von Mücke. Sowenig sich die Deutschen sich an der belgischen Neutralität störten, hatten auch die Japaner keine Hemmungen vor der chinesischen Neutralität.
20. Juni 1900
Der deutsche Gesandte Freiherr von Ketteler wird in Peking (nachdem er, was weniger bekannt wurde tags zuvor
Scheibenschießen auf Mitglieder der Boxer veranstaltete ), auf offener Straße ermordet. Die “Boxer”, ein Geheimbund der
die Tradition des Faustkampes pflegte belagerte 55 Tage lang das Gesandtschaftsviertel. Eine 63 000 Mann starke internationale Truppe wurde in Marsch gesetzt, um den Aufstand niederzuschlagen.
23. September 1900
Die deutschen Truppen (24 000 Mann) unter Generalfeldmarschall Alfred von Waldersee trafen erst ein, als der Aufstand
schon niedergeschlagen war war. Waldersee ĂĽbernahm den Oberbefehl ĂĽber die deutschen Expeditionstruppen, der
englische Admiral Seymore den Oberbefehl über das internationale Korps. Eine Strafexpedition begann. Ganze Dörfer wurden niedergebrannt. In dem Gemetzel kamen auch Frauen und Kinder um.
6. September 1901
Der Friede zu Peking beendet offiziell den Boxeraufstand
Der Aufstand hatte natürlich auch seine Auswirkungen auf die junge Kolonie. Die chinesische Söldnertruppe, die 1899 vom
Gouverneur Jäschke aufgestellt wurde, konnte nicht im Feld eingesetzt werden, da ihre Familienangehörigen von den
Aufständischen bedroht wurden. Die Truppe wurden in Tsingtau zurückgehalten. Während dieser Zeit desertierte etwa die
Hälfte der Soldaten. Die restlichen 68 wurden für den Polizeidienst ausgebildet und somit die Truppe aufgelöst.
ab 1901
begann ein goldenes Zeitalter fĂĽr die Kolonie. Die Stadt Tsingtau wuchs unaufhaltsam. Das Wirtschaftswachstum und der relative Wohlstand lockte auch viele Chinesen aus der Umgebung an.
Bald gab es flieĂźendes Wasser und elektrischen Strom, ab 1905 auch Telefon und die ersten Automobile. Im Sommer war
man im Strand oder im nahegelegenen Laoshan-Gebirge, wo einige Familien Wochenendhäuser gebaut hatten und wo das
Erholungsheim “Mecklenburghaus” stand. Die Freizeit verbrachte die Mittelschicht bei Tennis, Laienspiel, Theater, Konzerten
etc.. Im Winter traf sich die Jugend im Park, um auf gefrorenem Kanal oder See Schlittschuh zu laufen.
Die Marinesoldaten, die sich während des Dienstes mit Exerzieren, Schießübungen (Marineartillerie auf Schleppschiffe) und
Wache stehen beschäftigten, konnten sich in der Freizeit auch Bücher in der umfangreichen “Kiautschou Bibliothek” ausleihen oder ab 1906 das “Prinz Heinrich Filmtheater” besuchen.
Umfangreiche Aufforstungen begannen. Leider wurde der junge Wald 1914 wieder abgeholzt, um das SchuĂźfeld fĂĽr deutsche Haubitzen freizuhalten.
1904
wurden der groĂźe Hafen, sowie die Schantung-Eisenbahn fertiggestellt.
1905
lebten in Tsingtau 30 000 Chinesen und 3 000 Europäer. Eisenbahn, Hafenanlagen, Verwaltungsgebäude, Geschäftsviertel
und Hotels, Seiden- und Seifenfabriken, Brauerei, mehrere Schulen, Krankenhäuser sowie eine Werft bestimmten das wilhelminische Stadtbild.
1909
wurde die “Deutsch-Chinesische Hochschule gegründet, deren Abschluß dem der Pekinger Universität gleichgesetzt wurde. Das war ein besonderer Vorzug, den sonst keine ausländische Schule genoss.
1911 BĂĽrgerliche Revolution in China
Würdenträger der Monarchie und Mitglieder des Kaiserhauses flüchten nach Honkong, Schanghai und auch nach Tsingtau.
4. August 1914
Japan erklärt seine Neutralität für den Fall, das der Krieg ( 1.Weltkrieg ) nicht nach Ostasien hinübergreift.
12. August 1914
Deutschland erklärt, dass im Falle einer Japanischen Neutralität, das deutsche Geschwader sich jeder feindseligen Haltung in
den ostasiatischen Gewässern enthalte. Daher lief auch das Geschwader aus dem Hafen von Tsingtau aus, um seinen Gefechtswert im Südpazifik einzusetzen.
7. die Invasion
15. August 1914
Die Japaner stellen ein Ultimatum zur bedingungslosen Ăśbergabe des Pachtgebiets und den RĂĽckzug aller deutschen
Kriegsschiffe innerhalb 24-Stunden. Der Gouverneur Meyer-Waldeck geht nicht darauf ein. Er telegraphiert am 23.08.1914 an Kaiser Wilhelm II :” Einstehe für Pflichterfüllung bis zum äußersten”.
Die Deutsche Besatzung bestand aus 2 500 Mann. Dazu kamen noch 500 Mann des Ostasiatischen Marine-Detachements, sowie einige Kriegsfreiwillige.
Das deutsche Auslands-Kreuzergeschwader mit den Panzerkreuzern “Scharnhorst” und “Gneisenau” und dem kleinen
Kreuzer “Nürnberg” war in der Südsee unterwegs um einen Handelskrieg zu führen. Der kleine Kreuzer Emden lief Anfang
August in Tsingtau ein. Der Geschwaderchef Graf von Spee hatte jedoch einen Befehl hinterlassen, welche die “Emden” zum
Geschwader beorderte. Von dort wurde sie auf Wunsch ihres Kommandanten wieder entlassen, um in Südindischen Gewässern auf Kaperfahrt zu gehen.
In der Bucht von Kiautschou lagen an Kriegsschiffen nur noch die deutschen Kanonenboote “Jaguar”, “Cormoran”, “Iltis (II)” und “Luchs”, das Torpedoboot “S 90”
und der österreichische Kreuzer “Kaiserin Elisabeth”.
Insgesamt standen etwa 4 800 Mann auf Seite der Verteidiger.
23. August 1914
Das Ultimatum läuft unbeantwortet ab. Deutsche Truppen rücken in die vor gelagerten Infanteriebefestigungen ein. Nachdem
Leutnant MĂĽllerskowski vom Seebataillon mit seiner Rumpler-Taube schon vor Kriegsbeginn abgestĂĽrzt war und einen
Totalschaden verursacht hatte, war nur noch der Oberleutnant Gunther Plüschow mit der zweiten “Taube” übrig. Vom ersten
Kriegstag an, flog er über die feindlichen Stellungen und Batterien und fertigte Pläne an, nach denen die deutschen Artilleristen
ihre Geschütze einrichteten, da durch die Berge eine direkte Sicht nicht möglich war.
25. August 1914
Japan erklärt dem Deutschen Reich den Krieg
27. August 1914
40 japanische und englische Kriegsschiffe erscheinen vor der Bucht und beginnen mit einer Seeblockade.
2. September 1914
1.Landungswelle von 2 300 Japanern und 2 000 Engländern
(Insgesamt stellten die Invasoren 65 000 Mann )
26 + 27. September 1914
Sturmangriff der Japaner und Engländer bricht unter hohen Verlusten zusammen
28. September 1914
Die Landblockade ist vollständig, der Ring ist jetzt geschlossen. Drei japanische Schlachtschiffe und das englische Linienschiff
Triumph nehmen aus sicherer Entfernung mit ihren 30.5 cm GeschĂĽtzen die Stadt Tsingtau unter Feuer. Die Wirkung ist jedoch nicht sehr groĂź.
Die Bewaffnung der Kanonenboote “Cormoran”, “Iltis (II)”, und “Luchs” wurde entfernt. Dann wurden die veralteten
Boote in tiefes Wasser geschleppt und gesprengt. Das gleiche Schicksal erlitten wenig später “Lauting” und “Tako”
Anfang Oktober
Der Oberleutnant Gunther Plüschow der “Flieger von Tsingtau” startet mit seiner “Rumpler Taube” und wirft kleine selbst
gebastelte Bomben (Sprengstoff in Kaffeedosen) auf die Landungstruppen der Belagerer ab. Da die Wirkung jedoch nicht
den Erwartungen entspricht und der Start auf dem kleinen Flugfeld auch ohne Zuladung gefährlich genug ist, beschränkt er sich wieder auf seine Beobachtertätigkeit.
Inzwischen haben die Japaner sechs groĂźe Doppeldecker (jeweils drei Wasserflugzeuge bzw. Landflugzeuge) herbeigeschafft, die mit der Bombardierung des Schutzgebiets beginnen.
Das Seewerk (Fort) Hu-Chuin-Huk wird von der feindlichen Flotte mit 30,5 cm GeschĂĽtzen beschossen. Die Besatzung
kann ein 24 cm Geschütz überhöht einrichten. Dadurch fliegt eine Granate etwa 200-300 m weiter als normal und trifft das englische Linienschiff “Triumph”
mitten an Deck. Das Schiff dreht schnell ab, so dass eine 2. Granate nicht mehr trifft. Es ist jedoch schwer beschädigt und muss zur Reparatur nach Yokohama dampfen.
17. Oktober 1914
Das deutsche Torpedoboot “S 90” unter dem Kommando von Kapitänleutnant Brunner durchbricht in dunkler Nacht die Seeblockade und versenkt mit drei Torpedos den japanischen
Kreuzer“Takatschio” . Eine Rückkehr nach Tsingtau ist jedoch nicht mehr möglich. “S 90” dampft nach Shanghai und lässt sich dort internieren.
29. Oktober 1914
9 Tage und Nächte beschießen Schiffe und Landtruppen die Bucht von Kiautschou.
31. Oktober 1914
Zum Geburtstag des “Mikado” (jap. Kaiser) unternehmen die Japaner einen vergeblichen Generalsturm.
Nach und nach wurden jedoch sämtliche Befestigungen erobert. Außerdem geht den Deutschen die Munition aus.
8. November
Der deutsche Gouverneur ĂĽbergibt den Japanern Kiautschou unter ehrenvollen Bedingungen. Die deutschen Kriegsschiffe
und der k.u.k. – Kreuzer werden von der eigenen Besatzung versenkt. Die Hafenanlagen und die Festungen werden
gesprengt. Die Belagerten treten eine fast 6-jährige Kriegsgefangenschaft in Japan an. Beim räumen von Land- und Seeminen
gibt es noch Verluste unter den Japanern. Der “Flieger von Tsingtau” konnte vor der Übergabe noch einige wichtige Dokumente ausfliegen.
Die Verluste: Deutschland Japan / England
150Tote 1700 Tote / Verwundete
180 Verwundete
9. weitere zeitliche Abläufe bis zur Gegenwart
1919
Im Versailler Vertrag wird festgelegt, das Deutschland alle Rechte an Kiautschou, sowie Eisenbahnen, Bergwerke und
Unterseekabel ohne Entschädigung an Japan abtritt. Aus Protest weigert sich China, den Vertrag zu unterzeichnen.
10.12.1922
Auf Drängen der USA gibt Japan Tsingtau an China zurück.
1923
Deutschland verzichtet gegenĂĽber China auf die Pachtrechte an der Kiautschoubucht.
1937
Krieg zwischen Japan und China
Jan. 1938 – September 1945
Tsingtau wird wieder von den Japanern besetzt
Juni 1949
Tsingtau wird von den Roten Garden des Mao Tsetung besetzt und gehört seither zur VR China.
Alle Ausländer in Tsingtau werden bis 1953 ausgewiesen.
1966
Während der Kulturrevolution wird der europäische Friedhof durch Rotarmisten verwüstet.
Oktober 1985
Der damalige bayrische Ministerpräsident Franz Josef Strauß unterzeichnet in Tsingtau einen Freundschaftsvertrag mit der Provinz Schantung.
2000
Heute ist Quingdao eine Millionenstadt wie viele andere. Mit 2,3 Millionen Einwohnern ist sie die zweitgrößte Stadt in der
Provinz Shandong. Hochhäuser bestimmen die Skyline. Einige Gebäude sind jedoch noch aus der Gründerzeit erhalten:
Gouverneursvilla, Bahnhof, katholische und evangelische Kirche, sowie einige Häuserzeilen im ursprünglichen Zustand.
Quingdaos Hafen ist der viertgrößte in China. Die Stadt selbst hat sich zu einem bedeutenden Handelsplatz entwickelt.
Anmerkung:
Innerhalb der Chronologie wurden die geographischen Namen zeitgemäß eingesetzt. Deshalb ein kleiner Vergleich:
Tsingtau – Quingdao
Kiau Tschau – Kiautschou – Jiaozhou
Schantung – Shandong
Lauschan (Gebirge) – Laoshan
Quellenangabe:
“Nach Dienst” Soldatenzeitschrift Jahrgang 1897 + 1898
Deutsche und Chinesen in Tsingtau 1897 – 1914
(Deutsches historisches Museum 1999) ISBN 3-932353-31-5
Gunther Plüschow: “Die Abenteuer des Fliegers von Tsingtau” (1916)
Schicksale deutscher Schiffe: Nr. 84 S.M. Kanonenboot “Iltis” (I) Moewig Verlag (1956)
Weltpolitik und Weltkatastrophe 1890-1915 von Dr. Paul Herre Verlag Ullstein (1916)
Internetseiten:
www.bautz.de/bbkl/a/anzer_j_b.shtml
www.deutsche-schutzgebiete.de/kiautschou.htm
www.traditionsverband.de/kiautschou.html
www.ccbox.de/FalkeB/Geschichte/body_der_erste_weltkrieg_teil1.html
www.kiel.de/presse/99625171443.html
www.wu-taichi.de/witten/hintergrund/node1.html
www.phil.uni.passau.de/suedostasien/aktuelles.htm
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